Outen und Familie
Ich bin nicht mehr jung,
fünfzig Jahre beinahe und es waren aufgeregte Jahre darunter, sehr viele. Nun
ist mir aber widerfahren, womit ich nicht gerechnet hatte: Ich habe mich sogar
vor meiner alten Mutter geoutet, sie ist weit über achtzig und wenn sie eines
Tages hinüber gehen wird, wird sie diese Botschaft mit sich nehmen. Wir, meine Frau und ich
hatten uns schon vor Jahren entschlossen, unsere besondere Verbindung auch durch
eine offene und ehrliche Kommunikation nach außen abzusichern. Wir haben ein
SM-Portal ins Internet gestellt, haben Freude an bissigen Artikeln und sind
ohnehin nicht bereit, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Auch die Romane meiner
Frau faszinieren mich so sehr, dass ich sie eines Tages nicht nur daheim sondern
auch in guten Buchhandlungen sehen möchte. Wer so lebt, tut gut daran,
Erpressern die Klinge aus der Hand zu nehmen, noch bevor sie sie erheben können.
Wir hatten uns bewusst geoutet. Trotz der Vorsichtsmaßnahmen
begegneten wir durchaus noch unausgeschlafenen Erpressern und Wirrköpfen. Nun aber haben meinen Frau
und ich unser Leben neu geordnet und es war an mir, meiner Mutter mitzuteilen,
dass wir uns trennen würden. Ein schweres Unterfangen
das einer alten Frau über hunderte von Kilometern am Telefon zu unterbreiten.
Es kostet viel Geduld und noch mehr große Worte im Kopf einer sorgenden Großmutter,
Umstände zu schildern und Hoffnungen zu pflanzen. Eine Entwicklung nicht in
Stunden sondern Tagen. Dabei war es ihr ein Bedürfnis,
in der Familie darüber zu reden und so konnte ich erfahren, dass auch mein Bruder,
mit dem ich seit Jahren selbst keinen Kontakt mehr habe, unsere Internetauftritte
längst gefunden - und wohl entsetzt zur Kenntnis genommen hatte. Wie ich höre,
war er sogar darauf angesprochen worden, wie peinlich, wie empörend. Verwandte kann man sich
aber nicht aussuchen und man kann sie nicht abschaffen. So hat er also in mir eine
schwere Bürde auf seine geschundenen Schultern geladen bekommen. Er wird diesen
Makel tragen müssen, fürchte ich und vermag dabei nicht zu sagen, ob sein Schicksal
ungerecht mit ihm umgeht oder nicht. Meine Mutter, das alte Mädchen,
war erschüttert und ich war aufgefordert, mich zu erklären. Nachdem sie alles
gehört und manches erfragt hatte, war sie ganz ruhig und erstaunlich gelassen.
Sie fand die Worte wieder, die meinem Vater so oft und so ehrlich über die Lippen
gekommen waren: Jeder muss nach seiner Fasson selig werden. So kann es geschehen, dass
man innerhalb der Familie in der Elterngeneration durchaus auf Verständnis und
Toleranz stößt, in der eigenen aber auf Empörung, Ablehnung und kategorische
Verurteilung. Dieser Artikel zeigt, dass
mein bedauernswerter Bruder absolut nichts mit meinen Verirrungen zu tun hat;
er wird Wert darauf legen. Hermann |
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